Ernährung und Klima: Vegan oder aus dem Labor – Hauptsache kein Fleisch - zeit.de
Eine optimierte Ernährung kann den Einfluss auf Klima, Wasserverbrauch und Landnutzung um rund 80 Prozent verbessern – und gleichzeitig alle nötigen Vitamine und Nährstoffe liefern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die verschiedene Ernährungsweisen optimiert und mit herkömmlichen europäischen Ernährungsplänen vergleicht (Nature Food: Mazac et al., 2022). Tierische Produkte stark zu reduzieren oder wegzulassen, ist demnach das beste für Klima und Umwelt. Neuartige Lebensmittel wie Milch aus Zellkulturen oder proteinreiche Produkte aus Insekten könnten dabei wichtige Nährstoffe liefern, die in einer rein veganen Ernährung fehlen – ohne die Umwelt zusätzlich zu belasten.
Fleischproduktion schadet dem Klima
Die Herstellung von Lebensmitteln ist weltweit für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich (Nature Food: Crippa et al., 2021). Gleichzeitig bedroht die intensive Landnutzung Lebensräume von Tieren und Pflanzen und benötigt große Mengen an Wasser, die in vielen Regionen –auch durch den Klimawandel– immer knapper werden. Die Produktion tierischer Produkte beansprucht dabei über 80 Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Fläche. Und das, obwohl sie nur etwa ein Drittel der Proteine für die menschliche Ernährung liefert (Science: Poore et al., 2018). Wegen des Klimawandels und der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln fordern viele Forschende, die Produktion und den Konsum tierischer Produkte deutlich zu reduzieren.
Dass eine drastische Reduktion von tierischen Produkten auf dem Ernährungsplan für den Klima- und Ressourcenschutz nötig wäre, folgern schon zahlreiche frühere Studien und wird im letzten Sachstandsbericht des Weltklimarats ebenfalls betont. Gleichzeitig werden immer mehr alternative Proteinquellen entwickelt, um das Eiweiß aus Fleisch und andere tierischen Produkten wie Milch und Ei zu ersetzen. Dazu gehören beispielsweise Produkte aus Insektenmehl, Fleisch, Milch und Eiprotein, das aus Zellkulturen gezüchtet wird oder Proteine aus Mikroben und Algen.
Die nun veröffentlichte Studie finnischer Forscher modelliert drei angepasste Ernährungsweisen, die sich weit weniger auf Klima und Umwelt auswirken als die herkömmliche Ernährung in Europa. Die Forscherinnen konzipierten drei verschiedene Schemata: Eine rein pflanzliche Ernährung, eine Ernährung auf Pflanzenbasis, die außerdem neuartigen Lebensmittel wie Insektenprodukte enthält, und eine optimierte omnivore Ernährung, die zumindest Milchprodukte und Eier in kleinen Mengen erlaubt. Für die Studie wurden für alle Produkte, die für die jeweilige Ernährung gewählt wurden, sogenannte Lebenszyklusanalysen genutzt, um den Gesamteinfluss auf das Klima, sowie die Land- und Wassernutzung zu ermitteln. Alle drei Ernährungsweisen konnten in dem Modell die negativen Umweltfolgen um etwa 80 Prozent verringern.
Wie sieht eine optimierte Ernährungsweise aus?
Statt Fleisch und anderer tierischer Produkte sollten für eine ausgewogene und ebenso umweltschonende Ernährung mehr Hülsenfrüchte, Nüsse und Gemüse auf dem Speiseplan stehen, außerdem weniger stärkehaltiges Wurzelgemüse wie Kartoffeln. Neuartige Lebensmittel schneiden sowohl mit Blick auf Klima und Umwelt als auch bei der Versorgung mit Proteinen und Vitaminen gut ab, insbesondere Insekten, Milch aus Zellkulturen oder mikrobielles Protein. In der optimierten Ernährung kommt Kunstfleisch aus Zellkulturen allerdings nicht vor. Welche Getreidesorten und pflanzliche Fette am günstigsten sind, hängt davon ab, ob mit der Ernährung der Einfluss auf den Klimawandel oder die Land- und Wassernutzung verbessert werden soll.
Laut dem Agrarökonom Matin Quaim von der Universität Bonn bestätigt die Studie, dass Umstellungen im Ernährungsverhalten eine wichtige Stellschraube sind, um die negativen Umwelt- und Klimaeffekte der Landwirtschaft zu reduzieren. Gerade die Reduktion des Fleischkonsums spiele hier eine wichtige Rolle. "Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass eine rein vegane Ernährung gar nicht unbedingt die nachhaltigste Alternative ist", sagt Quaim. Laut der Studie ist es demnach nicht möglich, den Bedarf für die essenziellen Nährstoffe Vitamin D und Vitamin B12 mit einer rein veganen Ernährung zu decken – zumindest ohne auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzugreifen. Hier schlägt die Studie entweder eine omnivore Ernährung mit sehr wenigen tierischen Lebensmitteln oder eine tierfreie, aber mit neuartigen Lebensmitteln angereicherte Ernährung vor. Letztere "können ein vollständigeres Spektrum an essentiellen Nährstoffen wie Eiweiß, Kalzium, Vitamin B12 und langkettige, mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren enthalten und sind land- und wassersparender als die derzeitigen tierbasierten Produkte", schreiben die Autorinnen in der Studie.
Sehr optimistische Modellschätzung
Im Vergleich zu anderen Studien, die den Einfluss der Ernährung auf Umwelt und Klima ermitteln, liefern die Autorinnen der Studie eine sehr optimistische Schätzung, wie sehr sich Klima- und Umwelteinflüsse reduzieren lassen. Sie begründen dies mit den stärkeren Einschränkungen der vorgeschlagenen Ernährungsweisen gegenüber denen anderer Studien und der Integration der neuartigen Lebensmittel. Das heißt, die Forschenden wählten bewusst größere Abweichungen zu aktuellen Ernährungsweisen, deren breite Umsetzung dadurch aber auch unrealistischer sein könnte. "Bei der Studie handelt es sich um mathematische Optimierungen von Ernährungsplänen. Die Ergebnisse zeigen, was theoretisch möglich sein könnte und nicht, was realistischerweise zeitnah zu erwarten ist", sagt Quaim. "Deswegen sind die errechneten Einsparungen der Umweltwirkungen hier auch größer als in bisherigen Studien."
Große Unsicherheiten bestehen außerdem bei der Abschätzung der Treibhausgasemissionen im Zusammenhang mit den im Labor gezüchteten Lebensmitteln. "Gerade für neuartige Lebensmittel, die sich noch in der Entwicklung befinden – wie Milch aus Zellkulturen –, gibt es größere Unsicherheiten hinsichtlich deren Umweltauswirkungen", sagt Florian Humpenöder vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Ein wesentlicher Faktor ist hierbei der Energieverbrauch. Denn statt Tiere zu füttern, die dann Milch und Fleisch liefern, wird in der zellulären Landwirtschaft mehr Energie im Produktionsprozess benötigt, beispielsweise um Bioreaktoren zu heizen." Die Treibhausgasemissionen neuartiger Lebensmittel würden somit wesentlich von der Verfügbarkeit klimaneutraler Energiequellen abhängen. Die künstlich hergestellten Proteinquellen scheinen aber eine bessere Landnutzungs- und Wasserbilanz zu haben, weil für ihre Produktion keine großen Weideland- und Kulturflächen benötigt werden.
Die Konsumentinnen müssen mitmachen
Die Studie unterstreicht wiederholt die Erkenntnis, dass eine Ernährung ohne oder mit nur wenigen tierischen Lebensmitteln für Klima und Umwelt optimal wäre. Während die Studie auf mathematischen Modellierungen basiert, sind die vorgeschlagenen Ernährungsweisen in der Realität derzeit – noch – schwer zu etablieren. Auch die Autorinnen halten eine großflächige Umstellung der Ernährung für unrealistisch und geben zu bedenken, dass für eine solche Umstellung der hohe Stellenwert tierischer Produkte in der derzeitigen Ernährung im Weg steht. Gerade für die aus dem Labor stammenden Lebensmittel bräuchte es positive Informations- und Aufklärungsbemühungen, um die Bereitschaft, neue Produkte zu probieren, zu steigern. Außerdem ist nicht geklärt, wie sich beispielsweise Fleisch aus Zellkulturen am Ende auf die Gesundheit auswirkt. "Die Studie nennt ausschließlich positive Gesundheitsauswirkungen von kultiviertem Fleisch und vergisst, dass die Auswirkungen von der Zusammensetzung der finalen Produkte abhängt", sagt Franziska Gaupp, Gastwissenschaftlerin am PIK. "Viele vegetarische Burger, die gerade auf dem Markt sind, haben beispielsweise einen zu hohen Salzgehalt und damit negative Auswirkungen auf die Gesundheit."
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Fleisch
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