Lebensmittel: Der Preis ist vielen wichtiger als Bio - Süddeutsche Zeitung - SZ.de
Die gegenwärtige Zurückhaltung der Verbraucher beim Einkaufen trifft auch Bio-Lebensmittel. Und das wiederum könnte Folgen für den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft haben. Menschen, die wissen, wie wichtig Bio-Lebensmittel für die Umwelt, die Artenvielfalt, die Qualität des Wassers, die Klimaziele und die regionale Landwirtschaft sind, erfüllt das mit Sorge. Menschen wie Alnatura-Gründer Götz Rehn und Meike Gebhard, Geschäftsführerin der Online-Plattform Utopia, zum Beispiel. Wegen der hohen Inflation wurde nach Angaben des Bundesverbands Naturkost und Naturwaren in den ersten drei Monaten dieses Jahres deutlich weniger Bio-Ware als im Vorjahreszeitraum verkauft. Im März sanken die Tagesumsätze um mehr als 18 Prozent.
Noch schlechter für den Bio-Markt sind die Daten des Marktforschungsunternehmens GfK, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Anfang des Jahres hätten Bio-Lebensmittel laut GfK trotz des Rückgangs noch im Trend gelegen. Doch im Mai hätten die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Trendwende vollzogen. Da sei der Umsatz bei Bioprodukten um vier Prozentpunkte stärker zurückgegangen als der Gesamtmarkt. Hierin zeige sich, so die GfK, wie stark viele Bürger, vor allem solche mit geringem Einkommen, sparen. Der Preis sei manchen wichtiger als Nachhaltigkeit.
Berücksichtigt man zudem, dass der Anteil an Bio-Lebensmitteln am Gesamtmarkt ohnehin laut Statista nur 6,8 Prozent beträgt, werden die Sorgen plastisch. Denn wenn der Bio-Konsum zurückgeht, fällt es der Bundesregierung schwerer, den Ausbau der Fläche für Öko-Landbau von derzeit etwa zehn auf 30 Prozent voranzutreiben. Die Bundesregierung halte an diesem Ziel fest, betonte Ophelia Nick, Staatssekretärin für Ernährung und Landwirtschaft. Das sei im Koalitionsvertrag so verankert. Experten wie der Göttinger Agrarökonom Achim Spiller bezweifeln allerdings, dass die Agrarwende wie geplant zu schaffen sei. Auch Armin Valet, Experte der Verbraucherzentrale Hamburg, zeigte sich skeptisch. Die Pläne bezeichnete er als "sehr ambitioniert". Um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen, müssten pro Jahr 400 000 Hektar umgestellt werden, im vergangenen Jahr waren es jedoch nur 80 000 Hektar.
"Wir machen gerade zwei Schritte vor, einen zurück."
Rehn unterstrich daher auf dem Nachhaltigkeitsgipfel der Süddeutschen Zeitung, wie wichtig Bio-Lebensmittel sind: "Ich hoffe nur, dass die Kunden, die jetzt weggeblieben sind, zeitnah wieder zurückkommen, weil wir sonst in Deutschland eine starke Strukturveränderung haben werden." In England und den USA gebe es keine vergleichbaren Bio-Fachmärkte wie in Deutschland. Hier deckten sie immerhin ein Drittel des Bio-Marktes ab. Blieben die Kunden dauerhaft aus, könnten manche in existentielle Nöte geraten. Sie seien nicht in der Lage, die Preise so zu kalkulieren wie Konzerne, namentlich Aldi oder Lidl, die mit zu den größten Bio-Händlern zählen.
Utopia-Geschäftsführerin Gebhard hält die Abkehr von Bio-Lebensmitteln nur für ein kurzfristiges Phänomen: "Ich bin zuversichtlich, dass, wenn wir durch diese Krise hindurch sind, der Bio-Konsum wieder anzieht. Wir machen gerade zwei Schritte vor, einen zurück." Nach Einschätzung von Petra Süptitz, Expertin für Nachhaltigkeit bei GfK, gehört der Schutz der Umwelt zu den wichtigsten Werten der Konsumenten. "Die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird nicht durch die Inflation beendet." Das gelte besonders für Menschen, die wenig finanzielle Sorgen haben.
Ein Indiz dafür, dass Verbraucher "jetzt keine Rolle rückwärts" machen, ist aus Gebhards Sicht, dass sie derzeit stärker Bio-Eigenmarken-Produkte der Händler kauften. GfK-Zahlen bestätigen, dass Verbraucher derzeit eher auf teurere Bio-Produkte von Markenherstellern verzichten. Das hat zur Folge, dass sich im Moment der Abstand zwischen Bio-Produkten und konventioneller Ware verringert. Bio wird so gesehen relativ preiswerter. Studien belegen das, und auch Rehn weist darauf hin: "Im Moment ist die Entwicklung eher günstig. Die Kunden müssten das nur wissen." Zumal in den konventionellen Produkten die Kosten für Tiere und Umwelt nicht enthalten seien. Eigentlich sei der Kauf von Bio-Lebensmitteln eine Win-win-Situation für alle: die Landwirte, die Händler, die Konsumenten und die Umwelt.
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