Ukraine-Krise: Ist Swift-Ausschluss Russlands ein Schnitt ins eigene Fleisch? - t-online.de
Im andauernden Ukraine-Konflikt debattiert der Westen weitere Sanktionen. Eine davon wäre der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk Swift. Doch das könnte ein Schnitt ins eigene Fleisch sein.
Überblick
Diese Woche steht erneut im Zeichen einer heiß laufenden Diplomatie. Trotz der Bemühungen vieler Staatslenker, unter anderem auch von Bundeskanzler Olaf Scholz, droht die Ukraine-Krise weiter zu eskalieren.
Am Wochenende gaben US-amerikanische Geheimdienste bekannt, dass nach ihren Informationen die Befehle für eine Invasion der Ukraine bereits erteilt worden seien und nur noch ihre Ausführung fehle. Das lässt die westlichen Alliierten über schärfere Maßnahmen nachdenken – auch, um den russischen Präsidenten Putin abzuschrecken.
Eine mögliche Sanktion, die im Raum steht, ist der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Bankensystem Swift. Deutschland hat diesen Schritt bisher vermieden, aus gutem Grund: Die Kosten wären wohl nicht nur für Russland hoch. t-online erklärt, was Swift ist und was ein Ausschluss Russlands hieße.
Was ist Swift?
Der Begriff Swift ist eine Abkürzung für "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication" (Eigenschreibweise: SWIFT) – eine internationale Genossenschaft mit Sitz in Belgien, die mit ihrem Telekommunikationsnetz (dem Swift-Netz) den Nachrichtenaustausch zwischen Finanzinstituten rund um den Globus betreibt.
Kurz gesagt: Das Swift-Netz ermöglicht es, Zahlungen international über den ganzen Globus über ein einheitliches System zu tätigen. Täglich durchlaufen das System Hunderte Milliarden Dollar. Laut Unternehmensangaben nutzen das Netzwerk mehr als 11.000 Banken, Wertpapierfirmen und Konzerne in über 200 Ländern.
Wer beispielsweise aus Deutschland eine Überweisung an Freunde in den USA vornehmen möchte, geht über das Swift-Netzwerk. Dafür geben Sie bei Überweisungen außerhalb der EU den BIC (Business Identifier Code) an (mehr dazu lesen Sie hier).
Das Swift-System ist im internationalen Handel allgegenwärtig. Wer also aus diesem Netzwerk ausgeschlossen ist, kann kaum mehr Zahlungen ins Ausland senden oder erhalten. "Ein Ausschluss vom Swift-Standard würde Bürgern, Unternehmen und letztlich auch dem russischen Staat jedweden Zugang zum internationalen Finanzsystem verwehren", sagt Michael Kötter, stellvertretender Präsident und Leiter der Abteilung Finanzmärkte am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Wie wahrscheinlich ist der Ausschluss der Russen?
Beschlossen ist der Ausschluss Russland noch nicht. Die Sanktion schwebt aktuell vielmehr als Drohgebärde über den diplomatischen Verhandlungen. "Neben ähnlich sichtbaren und schmerzhaften Maßnahmen, wie der möglichen Nicht-Inbetriebnahme von Nordstream 2 – ist dies sicherlich eines der schärfsten Schwerter im Arsenal der Wirtschaftssanktionen der westlichen Demokratien", analysiert Kötter.
Während die Amerikaner dem Ausschluss Russlands aus dem Swift-System als Sanktion sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, sind Partner wie Deutschland eher zurückhaltend. Denn Deutschland und andere europäische Staaten haben deutlich mehr Handelsbeziehungen mit Russland, die bei einem Swift-Ausschluss hart getroffen werden würden. "Swift infrage zu stellen, das könnte die Atombombe für die Kapitalmärkte und auch für die Waren- und Dienstleistungsbeziehungen sein", sagte CDU-Vorsitzender Friedrich Merz zuletzt.
Annalena Baerbock im Krisengebiet: Die Bundesaussenministerin zeigt Präsenz in der Ukraine, hält sich aber mit Zusagen zu strikteren Sanktionen gegenüber Russland noch zurück. (Quelle: Thomas Koehler/Getty Images)
Auch Außenministerin Baerbock äußerte sich unlängst eher reserviert. "Wir schauen uns als westliche Staaten sehr genau an, welche intelligenten Wirtschafts- und Finanzsanktionen tatsächlich die russische Wirtschaft und Führung treffen würden und nicht als Bumerang vor allem uns selbst", sagte sie im Januar in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".
Bisher erlebten nur kleinere Staaten ein solches Verfahren
Die ukrainische Regierung drängt dagegen Deutschland dazu, seine "Bedenken zur Seite zu legen" und auch diese Sanktion gegenüber Russland auszuüben. Zwar wäre Russland nicht das erste Land, das vom Swift-System ausgeschlossen werden würde, allerdings hatte keines der Länder so enge Handelsbeziehungen mit dem Westen wie Russland. Bisher wurden nur kleinere Länder, etwa der Iran, Nordkorea und jüngst Afghanistan von dem Zahlungsnetzwerk abgekoppelt.
Die Genossenschaft, die das Swift-Netz betreibt, ist zudem dazu verpflichtet, sich politisch neutral zu verhalten. Die USA müssten also zuerst die Genossenschaft von diesem Schritt überzeugen, dafür bräuchten sie im besten Fall die Unterstützung der europäischen Partner. Dass es aber auch ohne diese geht, zeigt der Ausschluss Irans vom Netzwerk.
Experte Kötter sieht aber einen Schulterschluss der europäischen Partner und der USA beim Swift-Ausschuss im Fall der Fälle: "Mein Eindruck ist, dass Europa und die USA durchaus gewillt sind, diesen signifikanten Schritt zu gehen, sollte es keine zügige Deeskalation und glaubwürdige Bemühungen um eine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage im Ukraine-Konflikt geben", sagt er t-online.
Welche außenwirtschaftliche Auswirkungen hätte der Swift-Ausschluss?
Die Auswirkungen dürften auf beiden Seiten erheblich sein. Daher agieren sowohl Opposition als auch die Ampelkoalition bei dieser Maßnahme bislang so vorsichtig.
Ein Handel wäre mit Russland nach diesem Schritt nicht mehr möglich. Als die iranischen Banken 2012 vom Netzwerk ausgeschlossen wurden, seien die Ölexporte laut Berichten um die Hälfte eingebrochen und der internationale Handel um knapp ein Drittel.
Russland ist allerdings deutlich enger mit dem Westen vernetzt als der Iran. "Eine derartige Isolation hätte somit drastische Folgen für die russische Volkswirtschaft und deren Gesellschaft", sagt Kötter.
Aber auch deutsche Verbraucher würden die Sanktionen gegenüber Russland deutlich spüren. Denn die Handelsbeziehungen bei der Gas- und Ölversorgung dürften in diesem Fall ebenfalls ins Stocken kommen. "Rechnungen russischer Energielieferanten an wichtige europäische Abnehmer könnten nicht mehr ohne Weiteres beglichen werden", erklärt Kötter.
Mitarbeiter überprüft Gasleitung (Symbolbild): Sollte Russland aus dem Swift-System ausgeschlossen werde, dürfte es auch zu einem Engpass bei Erdgas und anderen Energieträgern in Deutschland kommen. (Quelle: Sean Gallup/Getty Images)
Das könnte zu einem plötzlichen und akuten Anstieg der Energiepreise führen. Noch immer stehen zwei Monate bevor, in denen die Deutschen durchschnittlich ihre Wohnungen heizen und der Füllstand der deutschen Gasspeicher ist bereits jetzt auf einem historischen Tief. Die rasant steigenden Energiepreise hatten zudem einen erheblichen Anteil an der steigenden Inflation in Deutschland. Auch diese könnte sich bei einer Verknappung der Erdgasversorgung weiter steigern.
Könnte ein Swift-Ausschluss den Westen schwächen?
Die Warnungen, dass ein Ausschluss Russlands aus dem Bankensystem einen Bumerang-Effekt erzielen könnte, mehren sich. Tatsächlich gibt es einige Faktoren, die den Nutzen einer solchen Sanktion auch infrage stellen.
Denn Russland hat sich bereits auf eine Abkoppelung vom Swift-Netzwerk vorbereitet. Denn schon bei der Invasion der Krim 2014 drohten die Amerikaner damit, das Land vom internationalen Zahlungsverkehr abzuschneiden. Seitdem hat Russland vorgesorgt und ein eigenes Zahlungsnetzwerk mit seinen Anrainer-Staaten aufgebaut: SPFS, ein System, das zwar nicht ganz so ausgeklügelt wie Swift funktioniert, aber nach einem sehr ähnlichen Prinzip.
Ein Ausschluss aus dem Swift-System würde für die russische Wirtschaft also eine gewisse Disruption bedeuten, aber keinen Stillstand. Die EU dagegen hätte auf einmal deutlich weniger Möglichkeiten, Gelder mit seinem fünftgrößten Handelspartner auszutauschen.
Allianz zwischen China und Russland droht
Zudem könnte ein Ausschluss der Russen aus dem Swift-System das Bankennetzwerk langfristig schwächen und damit die Finanzhoheit des Westens über globale Zahlungswege. China dürfte einen solchen Schritt besonders aufmerksam beobachten und könnte stattdessen sein eigenes Zahlungsmittel vorantreiben.
Neue Allianz? Ein Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk Swift könnte Präsident Putin an Chinas Seite treiben. (Quelle: Kenzaburo Fukuhara/Getty Images)
Wenn Russland komplett vom Westen abgeschnitten wäre, könnte sich eine Allianz der aneinandergrenzenden Staaten bilden. Bereits zu den Olympischen Spielen haben beide Präsidenten einen demonstrativen Schulterschluss präsentiert.
Chance für Chinas rivalisierendes System
Chinas Rivale zum Swift-System heißt CIPS. Im vergangenen Jahr hat China die Summen, die durch das Netzwerk täglich transferiert werden, auf 50 Millionen Dollar verdoppelt. Das sind zwar deutlich weniger als die 400 Milliarden Dollar, die täglich über Swift die Seite wechseln, zeigt aber deutlich das Potenzial.
Und China wirbt bereits seit Jahren dafür, unabhängiger vom Swift-System zu werden. Ein Ausschluss Russlands aus dem Netzwerk könnte diesen Bewegungen neuen Antrieb verleihen.
Finanzexperte Kötter sieht dieses Risiko als gering an, da Chinas wichtigste Handelspartner im Swift-System organisiert sind. "Ich vermag somit nicht akute Anzeichen erkennen, dass die Volksrepublik China in ihrem Kalkül den Nutzen aus einer Aggression Russlands gegenüber der Ukraine als wertvoller bewertet, im Vergleich zu einem funktionalen, sicheren und stabilen globalen Zahlungssystem", so Kötter.
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