Höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch – Warum Experten dafür sind - BR24
Die Mehrwertsteuer für die meisten Lebensmittel, also Brot, Steak, Gurken, Nudeln, Dosensuppen und so weiter liegt derzeit bei sieben Prozent – bei Getränken sind die Regelungen komplizierter. Mehrere Verbände und Experten fordern zum Teil schon seit mehreren Jahren: Für tierische Lebensmittel sollte der reguläre Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent gelten. Sie haben dafür unterschiedliche Gründe.
Viele Unterstützer, von Greenpeace bis zur Borchert-Kommission
Die Forderung ist nicht neu. Seit mehr als fünf Jahren plädiert unter anderem das Umweltbundesamt dafür, die Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen. Greenpeace, der Verbraucherzentrale-Bundesverband, die Zukunftskommission Landwirtschaft, der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz und zum Beispiel die EU-Kommission sind auch dafür. Ebenso das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, besser bekannt als Borchert-Kommission.
Bisheriger Steuersatz auf Fleisch gleicht einer Subvention
19 Prozent aufs Steak: Das wäre keine Steuererhöhung, sondern vielmehr ein Ende der Subventionierung tierischer Produkte, argumentiert Matthias Lambrecht, Agrarexperte bei Greenpeace. Auch das Umweltbundesamt (UBA) geht davon aus, dass der Staat mit dem geltenden ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent bislang den Verzehr von Fleisch, Milch und Eiern subventioniert.
"Umweltschädlicher Konsum" werde staatlich gefördert, so der Greenpeace-Vertreter. Damit meint er unter anderem: Gülle-Überschüsse aus der Tierhaltung belasten das Gewässer. Die Nutztierhaltung verursacht fünf Prozent aller Klimaschäden in Deutschland.
19 Prozent für mehr Tierwohl
Schätzungen zufolge würde die höhere Mehrwertsteuer dem Staat zusätzliche Einnahmen in Höhe von gut 3,5 Milliarden Euro bringen. Allerdings dürften die Mehreinnahmen nicht einfach so im Staatssäckel untergehen, ohne Zweckbindung, wie die übrige Mehrwertsteuer.
Das eingenommene Geld müsste Landwirten zugutekommen, die die Haltungsbedingungen ihrer Schweine, Hühner, Puten und Rinder verbessern, schlägt die Borchert-Kommission vor. Damit die Nutztierhaltung in Deutschland von der Gesellschaft besser akzeptiert wird und den Landwirten gleichzeitig ein sicheres Einkommen bieten kann.
Vorteile der Maßnahme: Gut fürs Klima und die Gesundheit
Würde die erhöhte Mehrwertsteuer auf tierische Produkte dazu führen, dass die Menschen mehr pflanzliche Produkte wie Getreide, Gemüse und Obst essen, dann hätte das positive Folgen für den Klimaschutz. Um die Klimaziele – bis 2045 klimaneutral sein – zu erreichen, müsste die Tierhaltung in Deutschland ungefähr auf die Hälfte reduziert werden.
Das wäre dann auch im Sinne der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Sie empfiehlt eine Halbierung des Fleisch- und Wurstkonsums. Aus gesundheitlichen Aspekten hält sie einen Pro-Kopf-Verzehr von rund 30 Kilo Fleisch und Wurst im Jahr für ideal, das wäre genau halb so viel, wie derzeit gegessen wird.
Weiterer Vorteil: Schnell umsetzbar
Eine Alternative: Statt der regulären Mehrwertsteuer erhebt der Staat eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte. Also zum Beispiel 50 Cent für jedes Kilo Fleisch, das verkauft wird, zehn Cent pro Liter Milch und drei Cent pro Ei. Die ursprüngliche Forderung der Borchert-Kommission. Doch: der zeitliche Vorlauf und der bürokratische Aufwand wären enorm. "Das ist fürs Tierwohl keine gute Nachricht", sagt Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Institutes in Braunschweig und Mitglied in der Borchert-Kommission.
Eine Mehrwertsteuer-Erhöhung sei dagegen fast von heute auf morgen möglich "mit einem Federstrich". Ein weiterer Vorteil der Mehrwertsteuer-Erhöhung: Sie würde auch importiertes Fleisch treffen, es gäbe also keinen Wettbewerbsnachteil für heimische Schnitzel.
Unerwünschte Nebenwirkungen: 1. Haushalte mit geringem Einkommen wären stärker betroffen
Eine Preiserhöhung für tierische Produkte würde die einkommensschwachen Haushalte "ganz übel erwischen", schätzt Mirjam Jaquemoth, Professorin für Haushaltsökonomie an der Hochschule Weihenstephan Triesdorf. Auch wenn im gleichen Zug die Mehrwertsteuer für pflanzliche Lebensmittel gesenkt oder ganz gestrichen werden würde, so ihre Erwartung.
Der Sozialverband VdK, die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) fordern währenddessen, den Mehrwertsteuersatz für Obst und Gemüse zu senken oder ganz zu streichen. Haushalte mit einem geringen Einkommen geben einen größeren Anteil ihres Geldes für Lebensmittel aus, höhere Fleischpreise würden sie also stärker treffen als reiche Haushalte. Der VdK ist zudem dafür, die Hartz-IV-Sätze an die Lebenshaltungskosten anzupassen.
2. Teures Fleisch würde noch teurer
Bei einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent würden sich die tierischen Lebensmittel um rund elf Prozent verteuern. Die Haushalte, die freiwillig mehr Geld für Fleisch, Milch und Eier ausgeben, zahlen dann noch viel mehr drauf. Ein Rechenbeispiel: Ein Kilo Schweinekotelett beim Discounter, das Kilo bisher 3,30 Euro, würde sich um 36 Cent verteuern, der Preis fürs Kilo Bio-Kotelett vom Weideschwein, das bisher 25 Euro kostet, würde um 2,75 Euro steigen.
Würde dann womöglich die Nachfrage nach Fleisch aus artgerechter und ökologischer Erzeugung einbrechen? Das ist die Befürchtung von Landwirten, die ihre Tiere besonders tierfreundlich und umweltschonend halten. Doch: Geplant ist, dass die Landwirte mit hohen Tierwohl-Standards mehr Prämien bekommen. Dann könnten sie das Fleisch billiger anbieten. In dem Fall würde erhöhte Mehrwertsteuer beim Strohschwein oder dem Weiderind kaum oder gar nicht zu Buche schlagen.
Prognose: Der Fleischverbrauch würde um rund fünf Prozent sinken
Experten gehen davon aus: der Fleischkonsum könnte um zwei bis zehn Prozent sinken, das Thünen-Institut rechnet mit rund fünf Prozent. Das sind Annahmen, die zutreffen können oder auch nicht. Die Verbraucher verhalten sich weitgehend unberechenbar. Schwenken die Verbraucher nicht um von den Rindsrouladen auf die Bratlinge, dann zahlen sie mit der erhöhten Mehrwertsteuer immerhin eine Menge Geld für mehr Tierwohl.
Es muss was passieren – sagen Wissenschaftler, Landwirte und Verbände
Mirjam Jaquemoth, Verbraucherökonomin von der Hochschule Weihenstephan setzt auf Information und Bildungsmaßnahmen, um die Verbraucher dazu zu bringen, gesunde, umwelt- und tierfreundliche Lebensmittel einzukaufen. Doch die jahrzehntelangen Anstrengungen in diese Richtung haben bislang nicht viel bewirkt. Ist es nun an der Zeit, das Problem politisch zu regeln?
Einen durchschnittlichen Haushalt würde der erhöhte Mehrwertsteuersatz auf tierische Produkte rund elf Euro im Monat kosten, so eine Berechnung eines Kielers Wirtschaftswissenschaftlers. 19 Prozent auf Steak und Milch könnte der Anfang einer ökologischen Steuerreform sein, die wir "sowieso über kurz oder lang" brauchen würden, so Folkhard Isermeyer vom Thünen-Institut.
19 Prozent auf Fleisch und Milch: Steht nicht im Koalitionsvertrag
Der Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zu erhöhen, findet sich jedoch nicht im Koalitionsvertrag. Trotz der vielen Befürworter von Greenpeace bis zur Borchert-Kommission. Und das sei das eigentliche Problem. Denn die Entwicklung neuer Steuerungsmodelle koste wieder Zeit. Folkhard Isermeyers befürchtet, "dass das ziemlich lange dauern kann". Dabei sind sich viele Landwirte, Experten und Verbände einig: Die Zeit drängt, nun muss endlich was passieren in Sachen Tierwohl, Klimaschutz und Ernährung.
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